Zum Inhalt springen
Geschrieben

Artikel im General Anzeiger Bonn:

Mit einem Arm nicht in die Achterbahn

08.12.2016 BRÜHL/LOHMAR. Phantasialand-Besucherin Sandra Gerwing aus Lohmar wehrt sich dagegen, dass sie aufgrund ihrer Behinderung auf Fahrspaß im Brühler Freizeitpark verzichten soll. Weil sich die 35-Jährige nicht mit beiden Händen am Bügel festhalten kann, musste sie die Attraktion „Taron“ verlassen.

Für Sandra Gerwing ist es „nicht nachvollziehbar“. Die Lohmarerin liebt es, Achterbahn zu fahren. Doch das wurde ihr jetzt im Phantasialand untersagt. Von Geburt an fehle ihr der rechte Unterarm, schildert die 35-Jährige. Auf Fahrgeschäften – sei es im Brühler Park oder anderswo – habe das aber nie ein Problem dargestellt. Bis jetzt: Als sie vergangene Woche zum wiederholten Mal in der neuen Achterbahn „Taron“ saß, habe ein Mitarbeiter sie gebeten auszusteigen, „da ich nicht in der Lage sei, mich mit beiden Händen am Bügel festzuhalten.“

Beim Besucher-Service habe man ihr dann mitgeteilt, dass der Tüv ab diesem Jahr neue Bestimmungen hätte, „und dass so jemand wie ich mit keinem Fahrgeschäft dieser Art fahren dürfte.“ Daraufhin sei ihr der Eintritt erstattet worden, und sie habe den Park verlassen.

„Es kann nicht sein, dass es Voraussetzung ist, nur mitfahren zu dürfen, wenn man sich mit zwei Händen festhalten muss, denn dann müsste man generell die Sicherheit des Fahrgeschäftes infrage stellen“, meint die Lohmarerin.

Sie arbeite selbst in einer Einrichtung für Behinderte und findet: „So etwas darf nicht einfach so hingenommen werden.“ Schließlich sei immer von Barrierefreiheit die Rede. „Ich fahre für mein Leben gern Achterbahn“, macht sie deutlich, wie wichtig ihr das Thema ist: „Damit wird mir ein großes Stück Lebensqualität genommen und nicht nur mir, sondern auch allen anderen behinderten Menschen.“

Dem Parkdirektor des Phantasialands, Ralf-Richard Kenter, ist der Vorfall nicht bekannt. Es gebe nicht allgemein neue Tüv-Vorschriften, erklärt er, „sondern zu jeder Attraktion gibt es individuelle Nutzungsbestimmungen“. Für die neue Achterbahn „Taron“ gelte die klare Vorgabe vom Hersteller, „dass man sich mit beiden Händen festhalten können muss“, so Kenter. „Natürlich ist der Bügel per se geeignet, den Gast entsprechend sicher auf dem Sitz zu halten“, betont er.

Aber mit Blick auf die besondere Beschleunigung der Achterbahn gebe es die zusätzliche Regel, die genau kontrolliert werde. Dabei gehe es auch um Situationen, in denen es zu einer „Abweichung vom Soll“ komme – wenn etwa ein Stopp aus Sicherheitsgründen erforderlich werde.

In den Vorschriften für die Attraktion, die im Internet nachzulesen sind, ist der Hinweis „Bitte während der gesamten Fahrt gut festhalten“ zu finden. Das Hinausstrecken der Arme ist „streng verboten“. Auch Personen, die beispielsweise kleiner als 1,30 Meter sind, dürfen nicht mitfahren.

Grundsätzlich kontrolliere das Personal erkennbare Nutzungseinschränkungen sorgfältig, sagt Kenter. Im Fall von Sandra Gerwing sei der Umstand, dass ihr ein Unterarm fehle, vielleicht bei anderen Achterbahnen, an denen die spezielle Vorgabe zum Festhalten am Sicherheitsbügel nicht gelte, auch nicht in allen Fällen bemerkt worden. Die Angabe, dass sie zuvor schon auf anderen Achterbahnen und auch auf „Taron“ gefahren sei, sei für ihn nicht prüfbar.
„Die Sicherheit muss Vorrang haben“

Zu der Frage, welche Fahrgeschäfte die Lohmarerin denn künftig noch besuchen könne, wollte Kenter sich nicht äußern, da er die Besucherin und den Einzelfall nicht kenne. Grundsätzlich gelte, dass man als Mensch mit Behinderung damit rechnen müsse, die Fahrgeschäfte nicht nutzen zu können.

Eine einschlägige DIN- und europäische Norm stelle dazu klar, dass es sich nicht um Diskriminierung handle, wenn Ausschlüsse von Personen aus Sicherheitsgründen erfolgten, sagt Kenter. „Es tut mir von Herzen leid, aber es muss eine Grenze gezogen werden, wo die Sicherheit tangiert ist. Die Sicherheit muss Vorrang haben.“

Menschen mit Behinderung bekämen aber günstigeren und teils freien Eintritt in den Park, der auch Shows und Gastronomie biete. Zudem beträfen die Nutzungseinschränkungen verschiedene Personengruppen, betont der Parkdirektor: So sei die Körpergröße ein wichtiges Kriterium. Auch für Schwangere sowie Personen, die kürzlich eine Krankheit überstanden oder einen Herzschrittmacher hätten, kämen manche Attraktionen nicht infrage.

Er empfehle Menschen mit Behinderung, sich vor dem Besuch des Parks auf der Internetseite über die Sicherheitshinweise der einzelnen Fahrgeschäfte zu informieren. Es sei auch möglich, sich mit Fragen an die Hotline oder per Mail an den Park zu wenden. „Allerdings können wir keine medizinische Einschätzung eines Einzelnen vornehmen“, gibt er zu bedenken.

Gerwing habe richtig reagiert, dass sie sich an den Gästeservice gewandt habe. „Aber auch die Kollegen haben korrekt gehandelt. Auch indem sie ihr den Eintritt erstattet haben“, so Kenter: „Das ist eine Geste, mit der wir sagen möchten, dass wir sie nicht enttäuscht alleine lassen. Die Enttäuschung kann ich nachvollziehen, aber uns sind für einen sicheren Betrieb nun mal Grenzen gesetzt.“

Sandra Gerwing ist das zu „schwammig“. Sie verstehe, dass der Park sich absichern müsse, aber vorher dort anzurufen ohne sicher zu sein, ob sie dann wirklich ein bestimmtes Fahrgeschäft nutzen dürfe, sei keine Lösung.

Und wenn es ein Muss sei, sich auf „Taron“ mit beiden Händen festzuhalten, „dann müsste man auch allen das Fahren verbieten, die die Hände während der Fahrt in die Luft halten“, findet sie. „Ich kann mich damit nicht zufrieden geben.“ Sie habe bereits den Tüv angeschrieben und wolle „dran bleiben, damit ich und andere, die ähnliche Leiden haben, Achterbahn fahren dürfen.“ (Antje Jagodzinski)

 

http://www.general-anzeiger-bonn.de/region/koeln-und-rheinland/Mit-einem-Arm-nicht-in-die-Achterbahn-article3422261.html

Featured Replies

Geschrieben

Hier mal die offiziellen Informationen des Parks für Gäste mit Behinderung:

 

Aus Sicherheitsgründen ist es uns seitens des TÜV oder Herstellers nicht gestattet, Fahrattraktionen an Gäste freizugeben, die diese nicht eigenständig betreten und verlassen können sowie nicht bei vollem Bewusstsein aller geistigen und physischen Fähigkeiten sind. Die Sicherheit all unserer Gäste können wir nur unter der Voraussetzung garantieren, dass jeder Gast auch in Notfallsituationen aus eigener Kraft problemlos und schnell die Ein- bzw. Ausgänge erreicht, was vor allem für nicht ebenerdig verlaufende Fahrattraktionen gilt. Hier führen die Wege sowie die Notausgänge über teilweise steile und schmale Stiege, die von behinderten Gästen nicht ohne fremde Hilfe überwindbar sind. Wir danken für Ihr Verständnis! Weiterhin bitten wir Gäste mit gesundheitlichen Beschwerden, wie z. B. Herzproblemen, den Empfehlungen auf den Hinweistafeln an den einzelnen Attraktionen Folge zu leisten.

http://www.phantasialand.de/de/park/tickets/behinderte-gaeste/

 

Dazu kommen folgende Preise des Parks:

- Kinder (GdB min 50%) = frei

- Erwachsene (GdB min 50%) = 26 € Winter / 35 € Sommer (Schwangere zahlen das gleiche)

- Erwachsene mit Kennzeichen AG, H, BL, B = frei (Begleitperson für diese: 26 € Winter / 35 € Sommer, pro Person ein Begleiter)

 

Geschrieben

Ja schon, nur würde man normalerweise wohl nicht damit rechnen, dass einem ein fehlender Arm die Fähigkeit des eigenständigen Verlassens eines Fahrgeschäfts erschwert. Bei der Formulierung würde ich jetzt eher an fehlende Beine oder andere Gehbeeinträchtigungen denken.

Geschrieben
Am 9.12.2016 um 14:07 schrieb Nerotip:

Der Park könnte dann mit ehrenamtlichen, uneingeschränkten Personen ausgestattet werden, die diese Menschen dabei unterstützen Achterbahnen zu betreten, zu verlassen (auch im Notfall, z.B. bei Taron im 2. Launch), oder sie durch den Park führen. 

 
Der Park könnte, könnte, könnte.... immer dieses Wunschdenken. Tut mir ja leid für die Frau, dass sie nicht mitfahren konnte, aber wenn es vom Hersteller so vorgeschrieben ist beispielsweise die Anlage so zu betreiben dann ist es halt so. Dann auf so alberne Ideen wie "ehrenamtliche Evakuierungshelfer" zu kommen, find ich ja fast schon ulkig. Ich möchte mal gerne sehen, wer sich freiwillig den ganzen Tag umsonst an eine Achterbahn stellt, um nur für den Notfall dann Leute evakuieren zu können. 

Wir könnten auch Achterbahnen mit einem Rollstuhlwagen hinten dran bauen, dann wird das ganze noch mit Spanngurten fixiert und dann können sogar Rollstuhlfahrer mitfahren Nur wir leben einfach nicht in einer Wunschwelt. Fakt ist, der TÜV und der Hersteller liefern einfach die Vorschriften zum Betreiben der Anlage Wenn dann aber was im Ernstfall passieren sollte, weil sich jemand nicht evakuieren sollte, würden eh wieder alle aufschreien: "Wie konnte der Park nur diese Leute fahren lassen?" :huh:

Geschrieben

Da tust Du Nerotip nun unrecht: Er hat wesentlich mehr geschrieben und sicherlich nicht, das da jeden Tag Leute stehen.

 

Ich bleibe dabei: Mit den nötigen Ausrüstungen und Bauweisen kann man fast jede Bahn behindertengerecht machen. Da der Park es aber nicht mal schafft, bei Neubauten und Umbauten für Barrierefreie Wege zu sorgen (Das eben genannte Beispiel) scheint es wohl nicht so zu interessieren.

Geschrieben

Auch wenn es nur um einen Tag im Jahr gehen würde, es ist nicht umsetzbar in der Realität. Die Frage ist nicht ob man Achterbahnen behindertengerecht machen könnte, am Ende entscheidet der TÜV nach wie vor, wer mitfahren darf und wer es nicht soll. Wenn sich eine Person nicht selber evakuieren kann, der Ernstfall eintreten würde und die Person verletzt oder sogar sterben würde, wäre das Geschrei immens und der Park könnte die Tore dicht machen.

So leid mir auch jeder behinderte Mensch tut, ich stehe da zu hundert Prozent hinter den Bedingungen die der TÜV, die Hersteller und letztendlich der Park ausspricht. Dass das Wegenetz im Phantasialand suboptimal ist, muss man nicht erwähnen, aber da ist auch viel den Gegebenheiten geschuldet und aufgrund der Bebauung auf mehreren Ebenen ist es stellenweise einfach nicht realisierbar, dass es überall direkte rollstuhlgerechte Wege gibt. 

Geschrieben

An vielen Stellen hätte man aber Rampen bauen können, und zwar ohne Probleme. Dann gäbe es über die Chiapasbrücke eine halbwegs direkte Verbindung. Aktuell ist dieser Parkbereich für Rollstuhlfahrer quasi nicht zugänglich. Die Wege bei River Quest hoch, sind viel zu steil. 

Geschrieben

Gibt es da nicht noch einen Weg vom Platz vor der Eislaufhalle aus? Also rechts vom Eingang von Chiapas, da kommt erstmal der Weg mit Treppen, und dann rechts davon?

Geschrieben

Wir überlegen nämlich auch mit meinem Schwiegervater, der aufgrund seiner COPD Erkrankung auf den Rollstuhl angewiesen ist, in der Sommersaison ins Phantasialand zu gehen. Aber auf Bahnen würde er nicht wollen, umso wichtiger ist es für ihn, mal den ganzen Park zu sehen und die Shows.

Geschrieben

Auch mit dem Kinderwagen könnte ich überall hinkommen ohne Treppen. Aber es ist mühsamer und eben weitläufiger. Meistens tragen wir ihn daher die ein oder andere Treppe. 

 

Geschrieben
vor 4 Stunden schrieb Pinselchen79:

Gibt es da nicht noch einen Weg vom Platz vor der Eislaufhalle aus? Also rechts vom Eingang von Chiapas, da kommt erstmal der Weg mit Treppen, und dann rechts davon?

Stimmt, hab daran gar nicht gedacht, weil das ja auch etwas versteckt liegt. 

Erstelle ein Benutzerkonto oder melde Dich an, um zu kommentieren